Vom Scheitern
Halbzeit. Oder wie es die Community in den sozialen Medien zu sagen pflegt: Mid-Season Break. Eine Chance, einmal durchzuatmen, die Nachbarn zum Grillen einzuladen oder ganz verrückt, das Smartphone auch mal zur Seite zu legen.
Meine Sommerlektüre, wie sollte es anders sein, das neueste Meisterwerk von Bret Easton Ellis. Angereiht an Benjamin von Stuckrad-Barre’s „Noch wach?“ allesamt Spiele mit Fiktion und Wirklichkeit. Über virtuelle Welten schreibt auch Chalmers. Es scheint, als bestünde das dringende Bedürfnis, unsere neue Art miteinander zu interagieren, literarisch sowie philosophisch einordnen zu wollen.
Nun läge es nahe, zu behaupten, dieses Auseinanderfallen von wahrgenommener Realität und jenen Gegebenheiten, die sich sodann vor unserem inneren Auge abbilden, würde uns vor Selbstvertrauen strotzenden Profisportler nicht tangieren. Doch wie sonst erklärt sich der Umstand, dass ich mitnichten der einzige bin, der jüngst einem kleinen Sommerloch zum Opfer fiel?
Was wartet hinter der nächsten Kurve | Foto: Simon Gehr
Der aktive Teilnehmer, um den Bogen zu den oben genannten Autoren zu spannen, würde sich das wahrlich nicht eingestehen. Er würde das nächste Rennen ins Visier nehmen, weiter eifrig sein Training abspulen und auch darüber hinaus alles Erdenkliche tun, um seine Mitstreiter bei diesem Bewerb in die Knie zu zwingen. Diese Mär wird meine Timeline zieren.
Auf Instagram bin ich nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur meines eigenen Drehbuchs. Schließlich sehnen wir uns doch alle nach der Bestätigung, dass unser Leben nur scheinbar gewöhnlich und unscheinbar, aber in Wirklichkeit Teil einer größeren Geschichte ist. Der größten Geschichte, die jemals erzählt wurde. Und wenn ich dabei auf manche Probleme keine Antwort parat habe, ist das völlig in Ordnung. Vorausgesetzt die Handlung geht weiter.
Ja, irgendwie fühlt es sich gerade an wie zu Schulzeiten: Leere Straßen, drückende Hitze. Dazu eine gehörige Portion Melancholie, irgendetwas fehlt. Dabei startete meine Sommersaison durchaus vielversprechend. Ein Podium im Europacup, eine neue persönliche Bestmarke in der Weltmeisterschaftsserie, gefolgt von einem sechsten Platz im traditionsreichen Weltcup in Ungarn. Alles war dem Ziel untergeordnet, Weltranglistenpunkte zu sammeln, um mich für die abschließenden Jahreshighlights, respektive dem Olympic Test Event in Paris in Stellung zu bringen. Weil das Olympiakomitee bei diesem Wettkampf Startplätze für die im nächsten Jahr stattfindenden olympischen Spiele vergibt, hatte ich mir eine Teilnahme dort als Jahresziel gesetzt.
Im Kampf gegen sich selbst und die eigenen Ziele | Foto: Marcel Hilger
Was der Opportunist, der ich bin, vorerst noch versuchte zu beschwichtigen, war Ende Juli inmitten unseres Höhentrainingslagers im Schweizer Engadin plötzlich bittere Realität. Die Mission war gescheitert, es würde nicht reichen. Ich würde als sechstplatzierter Deutscher keinen Startplatz mehr ergattern und auf der Warteliste verbleiben. Der Traum mit Datum wurde zum Datum ohne Traum. Die Unerbittlichkeit des Leistungssportes ließ grüßen.
Während ich hier also sitze und unentwegt Bilder von der Champs-Élysées auf mein Smartphone gespielt bekomme, gerate ich ins Grübeln. Natürlich hinterfrage ich meine Leistungen, meine Vorbereitung und all jene Entscheidungen, die zu dem Umstand führten, dass fünf Athleten aus dem deutschen Kadersystem mehr Punkte eingefahren hatten als ich. Auch aber versuche ich zu relativieren. Was, wenn ich den sozialen Medien für eine Woche den Rücken zu wende?
Wir alle kennen den natürlichen Drang, hauptsächlich Momente zu teilen, in denen wir glücklich sind. Rückschläge hingegen sind per se negativ konnotiert, weshalb sie zumeist im Verborgenen verbleiben. Unter dem Mantel der Toxic Positivity müssen wir uns Folgendes vor Augen führen. Nur weil meine Timeline ausschließlich aus Erfolgsbenachrichtigungen besteht, heißt das nicht, dass ich mit meinen gescheiterten Hoffnungen alleine bin. Aber apropos, was eigentlich bedeutet scheitern?
Der Schein trügt | Foto: Simon Gehr
Nicht selten führt das Billigen von gesellschaftlicher Anerkennung als vorrangiges Erfolgsattribut sowie das dringende Bedürfnis, uns einer bestimmten Personengruppe gegenüber rechtfertigen zu müssen, zu Verletzungen, Essstörungen und anderen mentalen Erkrankungen. Andere Regisseure mögen hierbei einfältiger sein, sie mögen Niederlagen gewinnbringend beschönigen oder die Followerschaft für eine gewisse Zeit im Trockenen sitzen lassen. Scheitern aber tue ich per Definition nur an meinen eigenen Zielstellungen und Ambitionen. Folglich gilt es, diese mit Bedacht zu formulieren.
In einer Welt voller Privilegien und mangelnder Chancengerechtigkeit sollten wir uns ganz generell nicht ausschließlich anhand unserer Leistungen bewerten lassen. Vielmehr bedarf es einer ganzheitlichen Evaluation von Erreichtem. Indem ich den Fokus auf mein eigenes Fortkommen richte, entfliehe ich dieser Gefahr. Verknüpfe ich meine Ziele zudem damit, inwiefern mein Handeln anderen Menschen geholfen hat, schaffe ich Raum für ein wohlwollenderes Miteinander.
Immer weiter bergauf: der Fokus auf sich selbst | Foto: Simon Gehr
Nun ist der sportliche Wettbewerb zweifelsfrei geprägt vom Egoismus. Sowohl der aktuelle Trend der Individualisierung als auch die Übereinkunft, nur eine ausgewählte Anzahl an SportlerInnen medienwirksam in Szene zu setzen, vermögen jenem altruistischen Gedanken den Boden unter den Füßen weg zu ziehen. Und natürlich, ohne eine gewisse Ellenbogenmentalität kommt man im Leistungssport nicht weit. Wo Gewinner, da immer auch Verlierer. Ziele mögen variieren, doch uns alle eint die Devise, die Reise so angenehm gleichwohl lehrreich wie nur möglich zu gestalten. Durch dick und dünn, im Kreise unserer Liebsten.
In Momenten, in denen der Neid einzusetzen vermag, in welchen ich zweifele oder für den Augenblick nicht gewillt bin, das Schwimmtraining dem Nachmittag am Strand vorzuziehen, halte ich inne, führe mir meine Privilegien vor Augen, hole die Wassermelone aus dem Kühlschrank und fahre mit meiner Freundin ans Meer. Es gibt schlimmere Orte, einen Blogbeitrag zu verfassen.
Rückschläge gehören einfach dazu, so intensiv uns die Gefühlswelt auch heimsuchen mag. Ein Geheimrezept hiergegen gibt es nicht. Vor allem, wenn äußere Einflüsse maßgebend sind, hilft neben dem Abstecher ans Meer höchstens die allweise Botschaft, das nächste Hoch umso mehr genießen zu können. Als ein Typ Mensch, der es liebt, Dinge unter Kontrolle zu haben, stürze ich mich nun wieder ins Training. Talent ist harte Arbeit und wie sagte doch Mama immer: „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo eine neue.“ Und vielleicht führt sie uns in ein und dasselbe Gebäude.