Stufen
Ich bin mir sicher, viele von euch kennen dieses Szenario nur zu gut: An Geburtstagen fühlen sich einige GratulantInnen, meistens dann, wenn sie ein gutes Stück älter sind, häufig und besonders häufig ungefragt dazu berufen, uns mit (natürlich immer nur gut gemeinten) Lebensweisheiten zu bedenken. Und da ich INCYLENCE immerhin schon über zwanzig Umrundungen der Sonne voraushabe, möchte ich es mir nicht nehmen lassen, zum fünfjährigen Bestehen ebenfalls mit einer schlau dahergesagten Weisheit aufzuwarten.
Spaß beiseite: Natürlich möchte ich mir an dieser Stelle nicht ernsthaft anmaßen, meine literarischen Ergüsse als „weise“ zu betiteln. Ich würde mich aber zumindest freuen, wenn die Geschichte, die ich anlässlich des kleinen Jubilläums von INCYLENCE erzählen will, dem ein oder anderen weiterhelfen kann. Vielleicht gerade dann, wenn sie oder er das Gefühl hat, die Dinge liefen plötzlich in eine ganz andere Richtung als ursprünglich geplant. Doch wo fange ich am besten an?
Jeder Neuanfang ist ein Schritt ins Ungewisse | Foto: Simon Gehr
Wir denken alle ab und an über uns und das Leben nach. Und meistens ist es sinnvoll, dabei dieses eigene und einzige Leben nicht als statischen Gegenstand zu betrachten, den wir zu Beginn in die Hand gedrückt bekommen wie einen hübsch verpackten Geschenkkarton und der uns dann früher oder später wieder abgenommen wird.
Es sorgt stattdessen für deutlich weniger Frustration, das Leben und auch alles, was damit zu tun hat als einen fortlaufend dynamischen Prozess zu verstehen. Als etwas, das wir eigenhändig weiterentwickeln können. Denn ständig haben wir die Möglichkeit, ins Geschehen einzugreifen, auch mal ganz von vorne anzufangen oder uns sogar komplett neu zu erfinden. Kurz gesagt: Unser Leben ist kein fertiges Objekt. Wir können was draus machen.
Möchte man an dieser Stelle nicht lange fackeln und sofort die Brücke zum fünfjährigen INCYLENCE-Jubiläum schlagen, läge die Überleitung nun auf dem Präsentierteller vor mir. Denn natürlich darf auch eine Brand nicht statisch sein und muss sich fortlaufend neu erfinden, am Puls der Zeit bleiben, um ihre Fangemeinde bei der Stange zu halten. Nach fünf Jahren kann man zumindest so viel festhalten: Das hat bestens geklappt – happy Birthday, INCYLENCE.
Eine besondere Socke für einen besonderen Geburtstag | Foto: Enzo Besson
Damit könnte ich dann einen Punkt machen und den Text beenden.
Ganz so einfach möchte ich es mir an dieser Stelle dann aber doch nicht machen. Denn ich würde der eigentlich noch sehr viel inspirierenderen Story um das kleine Jubiläum unseres first choice Sockendealers nicht gerecht werden.
Denn in dieser Geschichte geht es um mehr als einen Gebrauchsgegenstand, der den Aufstieg zum stylishen Lifestyleprodukt geschafft hat und nun seinen Weg zu einer ständig wachsenden Menge an KonsumentInnen findet. Es geht um die Menschen hinter einem Projekt, das sie aus dem Nichts heraus zum Leben erweckt haben und am Ende selbst daran gewachsen sind, sich entwickelt und ja, auch neu erfunden haben.
Vielleicht klingt „neu erfinden“ und „von vorne anfangen“ für viele im Zusammenhang mit ihrem Leben gar nicht so positiv. Und auch für mich hatte es lange irgendwie den sehr faden Beigeschmack von Scheitern. Ist Neuanfang nicht die rosige Umschreibung dafür, etwas Altes, lästig Gewordenes abzustreifen und unfertig hinter sich zu lassen, weil man seiner überdrüssig geworden ist? Mitnichten.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, hat wohl schon jeder einmal zu hören bekommen. Vielleicht sogar aus dem Mund dieser einen Spezies GeburtstagsgratulantInnen, von denen ich oben bereits sprach. Denn schließlich handelt es sich dabei um ein Zitat aus einem richtig alten, staubigen Klassiker, dem Gedicht „Stufen“ von Herrmann Hesse.
In meiner Zeit als Germanistikstudentin habe ich es in Seminaren, Hausarbeiten oder Vorlesungen unzählige Male durchgekaut. Und natürlich verliert man durch die dabei entstandene Verknüpfung des Texts mit Prüfungsstress oder auch diesem einen nervigen Dozenten irgendwann den Blick dafür, dass der x-mal analysiert und interpretierte Text eigentlich eine wirklich schöne Botschaft hat: Wir bewegen uns im Leben ständig fort. Wir wandern von einem „Raum“ zum nächsten und müssen dabei gezwungenermaßen regelmäßig Abschied nehmen und etwas Neues beginnen.
Ständig in Bewegung | Foto: Marcel Hilger
Meine Karriere als Literatur- und Sprachwissenschaftlerin liegt derzeit aber ohnehin auf Eis. Ich muss vor fünf Jahren irgendwo falsch abgebogen sein und den Moment verpasst haben, ein Praktikum zu machen, das mir den Einstieg in irgendein Forschungsinstitut oder doch eine Stelle als Doktorandin an irgendeiner renommierten Universität ermöglicht hätte.
Vielleicht wäre es aber auch weniger scheinheilig, unverblümt ehrlich zu sich selbst zu sein, um anzuerkennen: Germanistik war mir einfach nicht mehr wichtig genug. Ich hatte andere Dinge, denen ich plötzlich mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken wollte. Plötzlich war kein Platz mehr für Reisen nach Südtirol, um bewaffnet mit einem Diktiergerät in deutschen Sprachinseln bei über Neunzigjährigen dialektologische Varietäten aufzuzeichnen und die Tonschnipsel danach bis ins kleinste Detail phonetisch zu sezieren.
Mein Leben war plötzlich davon bestimmt, wann wo welche Leichtathletik-Europameisterschaft, welches Trainingslager oder Sponsorenevent stattfindet. Ich kam kaum noch hinterher, bei meinen Uni-DozentInnen Unterschriften auf Beurlaubungsdokumenten einzuholen, um nicht bei jedem zweiten Kurs durchzufallen, weil ich mit nichts mehr glänzen konnte. Abgesehen von meiner Abwesenheit.
Die Ruhe vor dem Sturm | Foto: Marcel Hilger
Während ich, die ehemalige Musterstudentin, früher eher noch den Kreis quadratiert hätte, um keine Vorlesung zu verpassen und mich lieber zweigeteilt hätte, als eine Prüfung schon zum dritten Mal ins nächste Semester zu verschieben, stellte ich fest: Es war mir auf eine komische Art und Weise egal geworden, dass dies nun auf einmal mehr die Regel als die Ausnahme war.
Nur um keinen falschen Eindruck zu erzeugen: Mein Studienfach interessierte mich nach wie vor sehr. Aber meine Prioritäten hatten sich verschoben. Der Sport hatte sich heimlich still und leise in meinem kleinen Kosmos an oberste Stelle gesetzt. Plötzlich definierte ich mich über das Laufen und nicht über einen Job, den ich nach dem Studium gerne ergreifen wollte. Trotzdem hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, wenn meine Uni-Dozenten wiederholt und zunehmend besorgt nachfragten, wie weit meine Überlegungen für das Thema meiner Masterarbeit denn gereift seien, bevor sie es irgendwann resigniert sein ließen. Ich hatte das Gefühl, in einer meiner beiden Welten radikal versagt zu haben.
Möchte man sich der Bilder bedienen, die Hermann Hesse in seinem Gedicht verwendet, ist damals aber gar nichts allzu Dramatisches geschehen. Und auch ich kann heute rückblickend sagen: Ich habe nicht versagt, sondern meinem Leben eine neue Richtung gegeben und bin von einem Raum in den nächsten gewandert. Das ist völlig in Ordnung und kann sogar ziemlich spannend sein, da solch ein neuer „Lebensraum“ und das, was man darin vorfindet, sehr viel Platz für Überraschungen birgt.
Denn hätte ich vor fünf Jahren gedacht, dass ich letzten Endes gar nicht in der Leichtathletik, sondern im Triathlon landen würde? Hätte ich gedacht, dass ich schon bald den Wohnort wechseln, für ein Team in Mannheim starten und mit Freunden ein Ausdauersport-Magazin ins Leben rufen würde? Vermutlich nicht. Schaue ich zurück, ist Stolz deshalb gar nicht der richtige Begriff, sondern viel mehr Verwunderung und ein gewisses Erstaunen darüber, was aus den Anfängen geworden ist.
Laufen als Lebensmittelpunkt | Foto: Marcel Hilger
Und hier lässt sich nun auch endlich der viel interessantere Bogen zum fünfjährigen Jubiläum von INCYLENCE schlagen. Denn wer hätte vor fünf Jahren schon allen Ernstes gedacht, dass drei Typen – Max, Pavel und Alex - mit einer Vision, die am Anfang nicht mehr war als eine Idee, ganz ohne Businessplan oder durchkalkulierte Finanzierungsphasen, am Ende dort rauskommen, wo sie heute stehen: Als Vollzeitbeschäftigte in ihrem eigenen Unternehmen. Mit Angestellten. Und einer großen, treuen Fangemeinde im Rücken, die schon gespannt die nächste Collab herbeisehnt (und stattdessen genau so gerne eine Hut-Kollektion oder ein Paar Kompressionssocken nimmt). Surprise, surprise!
„Am Anfang wurden wir von mancher Seite schon etwas belächelt“, erinnert sich Alex, „und natürlich haben wir deshalb auch erst mal tiefgestapelt. Wir haben an unsere Idee geglaubt, keine Frage. Aber wir sind immer auf Sicht gefahren und haben keine Unsummen an Geld reingesteckt oder gleich unsere Jobs gekündigt.“
Das Gründerteam um Alex, Pavel und Max (v.l.n.r) | Foto: Andrea Heinsohn
Wenn Alex heute zurückschaut, weiß er, dass das zwar möglich gewesen wäre, für ihn damals aber außerhalb jeglicher Vorstellungskraft lag. „Diese sehr strategische Überlegung, wo das Unternehmen nach fünf Jahren stehen soll, haben wir nicht fixiert. Wir haben einfach losgelegt und dem Prozess seinen Lauf gelassen. Heute ist INCYLENCE genau diese fünf Jahre alt und ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, wie es letztendlich gekommen ist.“
Max war schließlich der Erste der drei Gründer, der seinen Job aufgab, um zu hundert Prozent für INCYLENCE zu arbeiten. Pavel und Alex zogen innerhalb kurzer Zeit nach. Beide, bis dahin Freiberufler, nahmen immer weniger Engagements an, um sich verstärkt auf die eigene Firma konzentrieren zu können. „Das war nicht unbedingt die leichteste Entscheidung“, gesteht Alex, „ich hatte durch INCYLENCE deutlich weniger Zeit für meinen vorherigen Beruf als Moderator, den ich mit sehr viel Freude ausgeübt habe. Irgendwann ging nicht mehr beides nebenher. Ich nehme auch heute noch ganz vereinzelt Moderationsjobs an, aber merke dabei auch schnell, dass ich zeitlich und kräftemäßig an meine Grenzen stoße.“
Im Leben geht es nicht um diese eine Aufgabe, diese eine Berufung oder diesen einen Weg, der uns zu glücklichen Menschen macht. Es gibt so viele verschiedene Räume, die wir betreten und auch wieder verlassen können, wenn es uns dort nicht mehr gefällt oder wir uns einfach auch mal frischen Wind um die Nase wehen lassen wollen.
"HIGH FIVE" auf das Team! | Foto: Andrea Heinsohn
„Auf keinen Fall möchten wir INCYLENCE loslassen“, beteuert Alex mit Blick in die Zukunft, „aber vielleicht werden sich unsere Rollen innerhalb des Unternehmens hin und wieder verändern. In einigen Jahren wäre zum Beispiel ein Sabbatical für mich denkbar. Das wird aber noch ein bisschen dauern.“ Alex seufzt, lacht aber im nächsten Moment laut auf. Und er hat guten Grund dazu, schließlich hält der Zauber, der den Anfängen von INCYLENCE innewohnte, bis heute an. Happy Birthday, INCYLENCE! Auf die nächsten fünf Jahre und auch herzlichen Glückwunsch all denjenigen, die gerade so mutig sind, sich ebenfalls neu zu erfinden. Ich will euch dabei gar nicht mehr länger aufhalten und mache an dieser Stelle dann doch mal ’nen Punkt.