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"Ich hab Schiss!"

"Ich hab Schiss!"

"Ich hab Schiss!"

Das Gebäude der Universität, an der ich studiert habe, war ein Brutalismus-Betonklotz, wie er im Buche steht: Ziemlich hässlich, ziemlich dunkel, fürchterlich kalt.

In den Seitengängen des zentralen Hörsaalgebäudes gab es zumindest vereinzelt Heizungen, die an Wintertagen zur rettenden Zuflucht vieler wurden. Die ursprünglich weiß lackierten Metalloberflächen der Heizkörper waren entsprechend stark übersäht von Stickern und Kritzeleien. Irgendjemand hatte sich dazu berufen gefühlt, genau hier mit blauem Filzstift ein Zitat von Ellen Johnson Sirleaf niederzuschreiben: „Wenn dir deine Träume keine Angst machen, sind sie nicht groß genug.“

Ich weiß nicht, weshalb ausgerechnet dieser Satz und ich weiß auch nicht, ob von ihm außer mir jemals eine andere Person Notiz genommen hat, während sie vor dem Eingang von Hörsaal 7 ein wenig Ablenkung von Kälte, Prüfungsstress und dem restlichen Uni-Alltag suchte. Ein unerwarteter Denkanstoß, ein kleiner Reminder, sich kurz Gedanken darüber zu machen, was einen antreibt und ob man die Dimensionen dessen vielleicht aus Bequemlichkeit kleiner hält, als man eigentlich könnte.

Ich betrachtete die Universität nie als den Ort, an dem ich meine Träume verwirklicht sah. Bisweilen wurden Vorlesungen am Nachmittag für mich eher zur günstigen Gelegenheit für einen kleinen Power-Nap nach absolviertem Training. Insbesondere dann, wenn das Mittagessen recht üppig ausgefallen war. Aber selbst meine physische Anwesenheit, egal in welchem Wachheitszustand, war, optimistisch ausgedrückt, begrenzt. Interesse war vorhanden, nicht aber der Wille, dafür unzählige Lektüren und Fachliteratur zu wälzen, Referate zu halten und Prüfungen zu schreiben.

INCYLENCE Blog Franzi Reng Triathlonsocken Ironman LaufsockenIm Flow | Foto: Marcel Hilger

Nach Ende meiner Uni-Karriere merkte ich schnell, dass die Bereitschaft, mich deutlich anstrengenderen und zeitintensiveren Herausforderungen als die, die ein Germanistik- und Sportstudium darstellte, in anderen Bereichen sehr viel höher ausfiel. Das war auch bitter nötig, da ich gerade den Wechsel von Laufsport zum Triathlon vollzogen hatte: Mit voller Wucht bekam ich zu spüren, dass die neue Sportart bei weitem nicht so schlicht und unkompliziert war wie die alte. Weder im Training noch im Wettkampf. Ich kämpfte mit Organisation und Zeitmanagement, war heillos überfordert - und das Absurde daran: Ich hatte den Spaß meines Lebens. Denn ich merkte plötzlich, dass ich einem Traum näherkam, der noch bis vor kurzem nichts weiter als ein lächerlicher Floh gewesen war, den ich mir vor Jahren in den Kopf gesetzt hatte:

Ich gehörte in der Leichtathletik noch der Jugendklasse an, als sich eine gute Freundin und Trainingspartnerin gerade auf die Challenge Roth vorbereitete. Ein Rennen, das für mich damit zum Synonym für „Triathlon“ wurde. Ich erlebte ihre Vorbereitung aus nächster Nähe und kam regelmäßig aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn ich sah, was alles dazugehört und wie viel Hingabe es braucht, um diese Herausforderung zu meistern.

Mit mir passiert mitunter etwas Komischen in Situationen, in denen Menschen etwas machen, das ich zutiefst bewundere: In mir wird eine Stimme laut, die mich dazu anstachelt, diesen Personen nachzueifern. Diese Stimme sagt aber nicht etwa „das sieht nach Spaß aus, probier das mal“, sondern sehr viel selbstsicherer und ohne jeglichen Zweifel „das sieht nach Spaß aus, das kannst du auch!“

INCYLENCE Blog Franzi Reng Triathlonsocken Ironman LaufsockenDie Ungewissheit der ersten Langdistanz ist greifbar | Foto: Marcel Hilger

Es ist verhängnisvoll, so zu denken und zugegebenermaßen sogar ziemlich frech. Aber ungeachtet der Tatsache, dass ein Langdistanz-Triathlon zum damaligen Zeitpunkt mehr als ein unrealistisches Hirngespinst war, inspirierte mich meine Trainingspartnerin ab dem Moment, in dem sie ihren Ironman erfolgreich ins Ziel gebracht hatte, dazu, das auch machen zu wollen. Es war genau diese Art von Traum, die dir Angst macht, weil du gar nicht weißt, woher dein Gehirn die Kühnheit nimmt, dich so etwas denken zu lassen. Es ist aber auch diese Art von Traum, die dich in schlechten Zeiten motiviert.

So eine Phase hatte ich in der Mitte dieser Saison: Ich hatte ein solides Wintertraining gehabt und auch die ersten Test-Rennen mit ordentlichen Resultaten absolviert. Nun befand ich mich in der Vorbereitung auf den ersten Höhepunkt der Saison bei einem Rennen in Frankreich. Die Vorzeichen standen bestens, ich fühlte mich fit und stark. Dann kam der Renntag und das gute Gefühl war mit einem Mal komplett verschwunden: Mein Schwimmen war schlecht, mein Radfahren schlechter und mein Laufen ein Totalausfall.

Natürlich kennt jeder diese Tage, in denen man sich miserabel fühlt, weil es einen Grund dafür gibt – eine leichte Verletzung, eine nicht vollkommen auskurierte Erkrankung, zu viel anderweitiger Stress im Vorfeld des Rennens. Passiert.

INCYLENCE Blog Franzi Reng Triathlonsocken Ironman LaufsockenDer Traum jedes Triathleten/in: Der Queen K Highway | Foto: Marcel Hilger

Jedoch war nichts davon der Fall. Mein Freund, meine Familie, meine Trainerin – alle hatten Mühe und Zeit geopfert, um mich bestmöglich zu unterstützen. Ich fühlte mich auf eine hässliche Art und Weise schuldig. Am Wettkampftag war es extrem regnerisch und kalt gewesen, wie feige, meine schlechte Leistung nur damit rechtfertigen zu können, dass die äußeren Bedingungen nicht optimal gewesen waren. Ich war traurig, enttäuscht, vor allem frustriert und stellte mit einem Mal alles in Frage. Dieses Triathlonding, das mich so stark vereinnahmte, wohin sollte das eigentlich alles führen?

Ich ging hart mit mir ins Gericht. Die Nacht, in der ich von meinem Rennen in Frankreich die weite Strecke zurück nach Deutschland fuhr war mein Geburtstag und ich stellte mir die gesamten Zeit nur eine einzige Frage: War Triathlon das, was ich wirklich will, wenn ich nach einem schlechten Rennen, das nun mal dazugehört, genau so wie ein gutes Rennen, derart enttäuscht und unglücklich bin?

INCYLENCE Blog Franzi Reng Triathlonsocken Ironman LaufsockenLoslassen und Spaß haben | Foto: Justin Galant

Keine Frage: Meine Motivation, diesen Sport zu machen war ungebrochen. Mir wurde aber plötzlich klar, dass diese, schon immer damit verknüpft gewesen war, eine Langdistanz zu finishen. Es war das, worauf es für mich hinauslaufen sollte – von Anfang an.

Denn dieses Ziel hatte für mich schon bevor ich überhaupt an einen Sportartwechsel gedacht hatte, immerzu irgendwo am Horizont gestanden. Seit meine ehemalige Trainingspartnerin die Challenge Roth absolviert hatte. Und nur aus Selbstschutz und ja, Angst, hatte ich dieses Vorhaben in meinem Hinterkopf konserviert, um es irgendwann hervorzukramen, wenn der „perfekte“ Moment gekommen war.

Aber wann ist der denn schon „perfekt“? Mir fallen dutzend mehr oder weniger gute Songs ein, die davon handeln, wie oft wir auf den richtigen Moment warten und dadurch unzählige Chancen des Lebens verstreichen lassen. Scheint also kein vereinzeltes Problem zu sein.

Ich glaube jeder von uns war schon einmal in der Situation gefangen, nicht sofort das zu machen, was man wirklich will. Warum? Weil uns die Angst hemmt. Die Angst davor, auf die Schnauze zu fliegen. Zu versagen. Sich zu blamieren.

„Wenn dir deine Träume keine Angst machen, sind sie nicht groß genug.“

Da war er wieder, der Satz vom Warten an kalten Wintertagen vor Hörsaal 7, der mir immerzu ins Gedächtnis rief: Es braucht diese Angst und den Respekt vor unseren ganz großen Zielen. Dann betrachten wir sie auch mit der richtigen Portion Demut. Aber wir müssen sie auch angehen, um das zu erreichen, wovon wir träumen. Wir müssen mutig sein.

Während ich so tief in Gedanken nachts von meinem verkorksten Rennen nach Hause fuhr, spukte plötzlich ein verrücktes Szenario durch meinen Kopf: Was wäre, wenn ich…?

Zugegeben, ein sehr teures Grübeln, zumindest habe ich es geschafft, mich in der Schweiz blitzen zu lassen. Ausgerechnet. Aber vielleicht der beste Beweis, dass ich bei einer Idee war, die mich ab diesem Moment nicht mehr loslassen wollte.

INCYLENCE Blog Franzi Reng Triathlonsocken Ironman LaufsockenEinsame Trainingsstunden: Geburtsstätte vieler Ideen und Träume | Foto: Marcel Hilger

Ich beschloss, meine sie mit den Menschen zu teilen, denen ich vertraute. Ich erwartete, ausgelacht zu werden oder nicht ernst genommen. Stattdessen spürte ich, dass alle merkten, wie wichtig es mir damit war. Entsprechend inständig wurde ich darum gebeten, vorsichtig und behutsam zu sein. Auf guten Rat meiner Trainerin blieben wir in der Trainingsplanung bis zuletzt demütig: Eine Saison von April bis September kostet körperliche, aber auch mentale Kraft – und manchmal vielleicht auch zu viel von beidem, um danach das Vorhaben Langdistanz in Angriff zu nehmen. Bis Anfang September stand nicht fest, ob ich die Herausforderung wirklich noch in diesem Jahr angehen würde.

Erholt von meinem letzten, zum Glück sehr erfolgreichen Rennen merkte ich aber, dass mich in diesem Jahr nichts anderes mehr reizte, als genau jetzt mein größtes sportliches Ziel in Angriff zu nehmen. Ich hatte mich bewusst vorher nicht darauf eingeschossen, sondern mir selbst die Möglichkeit gegeben, noch bis zum letzten Moment die Reißleine zu ziehen. Und ich glaube, genau deshalb bin ich gerade so zufrieden mit meiner Entscheidung: Sie ist letzten Endes nicht aus Trotz und Frust geboren, wie es gewesen wäre, wenn ich sie direkt nach meinem schlechten Resultat in Frankreich gefällt hätte. Sie wurde in einem Moment des Erfolges getroffen. Und sie ist mutig. Vielleicht sogar übermütig.

Aber wie oft müssen wir im Sport genau das Gegenteil sein müssen: Reflektiert, rational und realistisch. Wie schön kann es sein, auch einfach mal aus diesem Sicherheitsdenken auszubrechen und einfach mal das zu machen, was nicht objektiv das Richtige ist, sondern was Bock macht?

Ich will vor lauter nach außen hin verkörperter Vernunft und Professionalität nicht aus den Augen verlieren, dass ich dieses Triathlonding in erster Linie deshalb mache, weil es diese heillose Überforderung bringt, die mir nach wie vor jeden Tag Freude bereitet (auch wenn sie zum Glück mittlerweile ein bisschen sortierter ist als früher).

Ich genieße im Moment jede Sekunde meiner Trainingseinheiten. Ich kann so viel lachen und mich genauso auch mal durchbeißen, wenn es hart wird. Weil ich wieder weiß, für welches Ziel ich es mache.

Was am Ende als kurzfristiges Resultat beim IRONMAN Cascais, bei dem ich am 21. Oktober starten möchte, übrigbleiben wird, ist im Prinzip gar nicht so relevant. Denn der Traum ist nicht an den Rennausgang geknüpft, sondern daran, gelebt zu werden. Und ich wünsche jeder Athletin und jedem Athleten da draußen, dass es ihr oder ihm auch so geht, wenn die Vorbereitung auf eine Herausforderung ansteht, auf die man sich freut, aber vor der man eben auch die nötige Portion Respekt hat.

„Wenn dir deine Träume keine Angst machen, sind sie nicht groß genug“, fasst für mich perfekt zusammen, warum es sich für mich lohnt, jetzt, am Ende dieser Saison das zu machen, was ein lang gehegter Traum ist, den ich schon fast vergessen hätte.

Ich kann es kaum erwarten. Und ja, ich hab Schiss.  

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