Trifluencer
Trifluencer
Die Diskussion, oder je nach Perspektive auch die Aufregung darüber, wie viel Influencer in einem modernen Triathlonprofi stecken sollte, reißt nicht ab. Waren es früher vor allem Printmedien, die den auf der Kleidung platzierten Sponsoren Aufmerksamkeit verschafften, so sind es heute die sozialen Medien, welche das Potential entfalten, als Marke über den Kanal eines Sportlers in Erscheinung zu treten, Synergieeffekte zu erzielen und letztlich den Umsatz zu steigern. Denn so hart klingen mag: In meiner Profession als Triathlet falle ich unter das Marketingbudget eines Unternehmens und bin damit der gesellschaftlich teilweise geächteten Berufsgruppe der Influencer nicht fern.
Es hat eine Weile gedauert, oder besser gesagt, es bedurfte eines innovativen Sockenherstellers, bis ich ein Medium fand, mit dem ich meinen Gedanken und Ideen Ausdruck verleihen konnte. Außerdem gestehe ich gerne ein, dass ich neben dem Leistungssport noch andere Interessen habe und nicht selten meinen politischen Unmut proklamiere. So wie neulich, als ich zur Stimulierung des Algorithmus ein Frage-Antwortspiel initiierte und sogleich sogenannten Bitcoin-Brüdern Paroli bieten musste. Nun könnte ich diesem Thema einen ganzen Blogartikel widmen und ausführlich erklären, wieso das Ganze vollkommener Humbug ist, und wirklich keinerlei gesellschaftlichen Mehrwert bietet. Doch möchte ich die Chance nicht missen, diese Materie als Metapher zu nutzen, um hierüber einen Bogen zu unserer Ausgangsthematik zu spannen.
Dass begrenzte Güter aus mathematischen Gründen langfristig im Wert nur steigen könnten, ist falsch, denn hierfür bedürfte es einer quasi unendlichen Nachfrage. Vielmehr gleicht das Zocken mit dem Bitcoin einem Roulettetisch. Im Gegenteil zu herkömmlichen Aktien besitzt der Bitcoin kein Kurs-Gewinn-Verhältnis, an dem sich ablesen ließe, ob der Kurs gerade günstig oder teuer ist. Es gibt mangels Geschäftsmodell auch keinen Grund, einen Kursanstieg zu antizipieren. Außer eben der Erwartung, dass andere wiederum auch erwarten, dass die Kurse steigen, und deshalb zum aktuellen Preis kaufen wollen. Erwartungen über Erwartungen über Erwartungen, mit einer entscheidenden Quintessenz: Die Gewinne des einen sind die Verluste des anderen. Eine große Umverteilungsmaschine, ein Nullsummenspiel, bei dem jeder einzelne grundsätzlich gewinnen kann, alle aber nicht. Ein wichtiger Unterschied.
Es macht also Sinn, sich der egozentrischen Perspektive hin und wieder zu entledigen und einen allumfassenderen Blick einzunehmen. Für einen extrovertierten Sportler mögen die neuesten Entwicklungen auf dem Sponsorenmarkt günstig sein, für andere, vermehrt in sich gekehrte AthletInnen ist es mitunter eine große Herausforderung, sich eine so selbstdarstellerische Art zu eigen zu machen, um Partner für deren Projekt zu gewinnen. Für den einen ist sportlicher Impressionismus im Gewinnen von Rennen begründet, für den anderen in künstlerisch aufbereiteten Reels.
Als ich anfing, diese Triathlongeschichte ernst zu nehmen, setzte ein Jungsporn aus Bayern die Maßstäbe in Sachen Selbstvermarktung. Seine mühevoll erstellten Blogs hatten für unsere Trainingsgruppe regelmäßig Motivationscharakter für die Wettkämpfe im deutschen Nachwuchscup. Und obwohl die Auflistung seiner Partner schon derzeit viel Neid hervorrief, blieb er seiner Linie treu und heute, zehn Jahre später, muss man respektvoll anerkennen, dass sein Mut und sein Durchhaltevermögen von großem Erfolg gekrönt sind und er in puncto professioneller Außendarstellung sowie Partnerrepräsentation immer noch seinesgleichen sucht. Ich war schlichtweg verblüfft, dass mein bayerischer Kumpel nach einem fünfstündigen Fotoshooting für einen gemeinsamen Ausrüster noch zwei hochwertige Einheiten abgerissen hat.
Auch meine Wenigkeit hatte bereits in jungen Jahren eine eigene Homepage und ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zu Kaderzeiten für meine im Vergleich zur heutzutage gängigen Praxis doch sehr milden Aktivitäten auf Instagram und Co. kritisiert wurde. Leider war und ist es mitunter schwierig, die Profession von dem Privatleben auf den besagten Kanälen zu separieren, weshalb das Bedienen der sozialen Medien für mich einem Ritt auf der Rasierklinge gleicht. Ein schmaler Grat zwischen der Idee, potenzielle Partner zu überzeugen und der Intention, auch Liebgewonnene authentisch auf diese Reise mitzunehmen. Zwar raten mir nahestehende, es gut meinende Personen unentwegt, meine Erfolge größer zu machen, sie besser zu vermarkten. Blöderweise aber kann ich nichts minder leiden als Großmäuler und Vorgaukler, weshalb ich dies wohl auch zukünftig unterlassen und damit Synergiepotenziale verschwenden werde. Für mich ist und bleibt der Sport ein ehrlicher Maßstab, der von persönlichen Erfolgen und Misserfolgen zehrt. Ein Spiel aus Erwartung und Ergebnis, aus Vorbereitung und Wettkampf, welches ich medial aufrichtig kommunizieren möchte, ohne dabei unentwegt an den nächsten Sponsorenvertrag zu denken.
Wie oben erläutert kann ein systemischer Blick von Vorteil sein. Wer meint, dass Angela Merkel uns doch sehr zuverlässig durch ein krisengebeuteltes Jahrzehnt geleitet hat, der darf nicht darüber hinwegsehen, dass ihre Regentschaft einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Verdopplung der Anzahl an Millionären zu verbuchen hat. Und wer der Ansicht ist, dass eine Mehrung an Menschen, die ein Vermögen von einer Millionen Euro und mehr ihr Eigen nennen, doch generell positiv zu betrachten ist, der darf nicht außer Acht lassen, dass die unter Hälfte der Deutschen in der Vermögensverteilung so gut wie gar keine Ersparnisse hat und kaum etwas besitzt.
Jüngst aber hatte ich ein Erlebnis, oder wie die Zunft der Mindset-Gurus zu sagen pflegt, ein Learning, welches dieses Denken ad absurdum führte oder zumindest in Frage stellte. Angekommen in Budapest und mit der großen Ehre gesegnet, einer sehr ambitionierten Schwimmgruppe beizuwohnen, fiel mir die Kinnlade herunter bei dem Anblick all dieser jungen, talentierten SchwimmerInnen, welche sich allesamt aufopfern für ihren großen Traum, die Teilnahme an den olympischen Spielen. In einem Land, in dem der olympische Sport und insbesondere das Schwimmen ein bedeutend höheres Ansehen erfährt als in Deutschland, in dem Medaillenaspiranten in Talkshows eingeladen und deren Antlitze auf Süßigkeiten Verpackungen gedruckt werden, scheint es nachvollziehbar, dass junge Menschen derart diszipliniert an ihrem sportlichen Fortkommen arbeiten, um eines Tages in die Fußstapfen ihren sportlichen Idolen zu treten. Und gleichzeitig muss man nüchtern feststellen, dass es nur wenige Auserwählte schaffen werden, dass dieser Traum für die allermeisten unerfüllt bleiben wird und dass in einem Land, dessen Bruttoinlandsprodukt nur ein Bruchteil des deutschen beträgt, auch diejenigen, die es zu den Spielen schaffen, weit hinter unserer Definition von wirtschaftlichem Erfolg zurückbleiben werden.
Doch ein paar Wochen später, ich war gerade aus einem weiteren zweiwöchigen Trainingslager unter der spanischen Sonne zurückgekehrt, war die Stimmung plötzlich euphorisch. Der Frühling war eingebrochen und noch viel wichtiger für die Gemütslage der Trainingsgruppe: Die Zeit des Taperings hatte begonnen. Die dunklen, kalten Monate waren geschafft und mit Reduktion des Trainingsvolumens fiel auch das Schwimmen plötzlich um ein Vielfaches einfacher. Eine kleine Abtestung zur Abrundung des Trainingstages, und siehe da. Milan wendet, Gyouri blickt auf seine Stoppuhr, er reckt sie in die Höhe, springt, jubelt, rennt zurück zum Start, hält die nun abgestoppte Uhr Milan ins Gesicht, dieser grinst. Das kräftezehrende Wintertraining, es hatte sich ausgezahlt. Und ganz unabhängig davon, ob Milan sich nächste Woche für die olympischen Spiele in Paris qualifizieren wird, dieses Erlebnis wird den beiden in Erinnerung bleiben. Wie auch ich im letzten Jahr erfahren habe, ist der Profisport bedingungslos ehrlich, ohne Gnaden. Und gleichzeitig sind es eben auch Geschichten wie diese, die es wohl kaum in ein Printmagazin schaffen, die aber dennoch den Kern, ja die Schönheit des Leistungssportes markieren.
Auch in Ungarn hat die Ideologie der Werbekörper Einzug gefunden. Die Hoffnung, den ökonomischen Aufstieg durch Posts auf den sozialen Medien zu schaffen, ist hierzulande weit verbreitet. Geblendet von den 0,001 Prozent, für die sich das regelmäßige Posten auszahlte und dessen Einkommen nun tatsächlich von Kooperationen mit renommierten Marken abhängt, scheint diese Entwicklung auch im Profisport gängige Praxis geworden zu sein. So belächeln es die einen und betonen weiter den sportlichen Erfolg als Grundlage für etwaige Sponsorenverhandlungen. Andere wiederum wittern ihre Chance, erkennen die systemischen Gegebenheiten des Marketings, und bespielen die sozialen Medien großflächig. Dass diese Protagonisten mitunter bessere Deals an Land ziehen als vermeintlich bessere AthletInnen, mag man neidisch beäugen, und muss doch anerkennen, dass das Zustandekommen jener Partnerschaften vom entsprechenden Mehrwert für das Unternehmen abhängt. Vielmehr darf und sollte man in meinen Augen das Ungleichgewicht im Markt hervorheben. Sicher gibt es positive Entwicklung wie die Etablierung von Rennserien und Bonus-Strukturen. Dennoch aber ist es weiterhin so, dass sehr sehr wenige AthletInnen den Großteil an Prämien und Sponsorengeldern einheimsen.
Obwohl ich das Spiel mit den sozialen Medien früh verstanden habe, fehlt mir zuhauf die Muße, so viel Energie in die Produktion von Content zu stecken. Viel lieber arbeite ich tüchtig an meiner Leistung im Wettkampf und bin doch vom Typ her, zumindest im Kern, mehr Realist als Träumer, weshalb ich heute neben dem Leistungssport und Studium zwei bezahlten Tätigkeiten nachgehe, um meine Träume im Triathlon zu finanzieren. Ich verkaufe meine Arbeitskraft und vermag wertvolle Regenerationszeit einzubüßen, doch erfüllt es mich neben dem egoistischen Sportbestreben ungemein, zu lehren und zu verhandeln, an Projekten mitzuwirken und ganz allgemein gesprochen, zu helfen. Schon vor Jahren habe ich einen Podcast unterhalten, um die Parallelen und Transfers zwischen der Geschäftswelt und dem Leistungssport aufzuzeigen. Eine wichtige Botschaft meiner Gesprächspartner damals: Sei zuverlässig und du wirst Erfolg haben. Ich bestätige.
Wenngleich ich doch regelmäßig Anfragen von älteren Herren bekomme, getragene und ganz wichtig (!) ungewaschene Einteiler von mir zu erwerben, und es irgendwie doch bewundere, mit welcher Inbrunst und so ganz ohne Reue mancher Triathlet das Geld aus dem Elternhaus in eine Siebträgermaschine investiert, so möchte ich doch für mehr Offenheit und Toleranz plädieren. Nur sehr wenige sich als Profi bezeichnende Ausdauersportler können von ihren Einkünften eine Familie ernähren. Gleichzeitig gibt es Einzelne, deren Reichweite nicht in deren sportlichen Resultaten begründet zu sein vermag, die sich über ihre Kanäle aber eine solide Einkommensbasis aufgebaut haben. Es scheint so fern, doch liegt so nah: Egal ob Leistungssport oder die sozialen Medien, stets wird postuliert, jeder sei seines eigenen Glückes Schmiedes. Der systemische Blick würde dem widersprechen.