Der richtige Weg
Unsereins hasst es, Entscheidungen zu treffen. Im unternehmerischen Umfeld werden deshalb nicht selten Berater herangezogen. Im Privaten sind es YouTube-Gurus, welche uns vermeintlich selbstlos zu mehr Glückseligkeit verhelfen wollen. Die in beiden Fällen mitschwingende Profitabsicht macht die Sache ungemein kompliziert, cleveres Marketing tut ihr Übriges. Weil ich meiner Leserschaft eine große Reflektiertheit zuspreche, bedarf es an dieser Stelle keiner Selbsthilfeanweisungen. Vielmehr möchte ich erörtern, wieso wir uns generell so schwer damit tun, Entscheidungen zu treffen. Weshalb wir so häufig zweifeln. Gerade, wenn es um das Einschlagen des richtigen Lebensweges geht.
Meiner Generation wurde stets gelehrt, man könne später einmal werden, was immer man wolle. Heranwachsende, welche Zukunftsfragen dieser Arte damit beantworten, es ginge ihnen vornehmlich darum, einmal groß und stark, gesund und zufrieden, oder schlicht und ergreifend glücklich zu werden, ernten kritische Blicke. Schließlich leben wir in einer Leistungsgesellschaft und ein jeder Knirps hat gefälligst dazu beizutragen, hat einen Job zu ergreifen, um mit diesem unseren Wohlstand zu nähren. Selbst Sido rappt, man solle tunlichst seinen Arsch bewegen.
"Beweg dein' Arsch!" | Foto: Justin Galant
Mit Sicherheit mag eine berufliche Tätigkeit in sehr vielen Aspekten lebensbestimmend sein. Doch spätestens der meritokratische Zusatz „wenn man sich nur genug anstrenge“ sollte uns an der Sinnhaftigkeit dieser Phrase zweifeln lassen. Heute weiß ich meine Eltern zu berichtigen: Nicht jeder kann Astronaut werden.
Die Menge an Karriereoptionen, welche sich uns neben dem Erkunden des Weltalls erschließt, wirkt erdrückend. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. In frühen Jahren schon gilt es, sich für eine Ausbildung oder ein Studienfach zu entscheiden. Verbunden damit das Erfordernis, eine Ausbildungsstätte zu bestimmen, eine geeignete Universität auszuwählen und nicht selten ein Ortswechsel. Ich für meinen Teil bin so privilegiert, stets von meinen Interessen und Passionen geleitet zu werden. So führte mein Weg über das Freiburger Sportinternat an den Bundesstützpunkt in Saarbrücken und von dort nach Heidelberg. Von dem einen Weg aber, wie es die Eltern- und Lehrerschaft mitunter predigt, bin ich abgerückt. So studiere ich im Master Finanzen und betreibe Leistungssport. Gleichzeitig macht es mir Freude, das mir angeeignete Wissen weiterzugeben. Ich genieße das Schreiben und pflege mein Privatleben. Der Jugend vorzugaukeln, man könne das Leben bis ins letzte Detail planen, man könne in der Pubertät bereits festlegen, welche berufliche Tätigkeit eines Tages, eine Dekade später, erfüllend zu sein vermag, halte ich für die falsche Herangehensweise. Wie in jedem guten Buch gibt es Kapitel, gibt es Abschnitte, welche die Reise in Etappen gliedern.
Jedes Kapitel hat seine Fragezeichen | Foto: Simon Gehr
Auch in anderen Bereichen kommt die Entscheidungsfindung ermüdend daher. Wohingegen wir im beruflichen Kontext von Traumkarrieren auf LinkedIn geblendet zu sein scheinen, stammen unsere Ansprüche bezogen auf die Partnerwahl aus der Epoche der Romantik. Wir wollen Liebe auf den ersten Blick, trotz Datingplattformen. Dabei bekommt der, der fünf Minuten swipt, mehr Auswahl vor die Linse als unsere Vorfahren im Laufe ihres gesamten Lebens. Ähnlich verhält es sich mit Technologie. Marketingkampagnen führen dazu, dass wir stunden-, ja tagelang Angebote vergleichen. Letztlich, so ehrlich darf und muss man sein, sind die Zollgröße des Fernsehers, die Speicherkapazität des Laptops und die Zoomqualität der Kamera aber doch gar nicht so lebensverändernd, wie wir regelmäßig annehmen. Worauf ich hinaus möchte: Entgegen der gängigen Vorstellung mangelt es uns zumeist nicht an Informationen. In der Regel gibt es schlicht nicht die eine, bessere, alles übertreffende Option. Daher der Wankelmut.
Ganz grundsätzlich sollten wir Entscheidungen als eine Chance der Selbstwirksamkeit verstehen. Wäre jede Entscheidung offensichtlich, ja wo hätten wir dann noch die Möglichkeit, unseren Reiseweg selbst zu gestalten. Ich will ehrlich sein. Dies fiel auch mir in den letzten Wochen schwer. Das Leben suchte mich heim und so galt es, Weichen zu stellen. Eine Fülle an Umstellungen und eine damit verflochtene Neuadjustierung. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Denn die einzige Konstante im Leben unser aller ist und bleibt: Die Veränderung.