Training mit Marathonprofi Sebastian Reinwand
Foto: Marcel Hilger
Flüssigkeitsversorgung, Kühlung und Energiebereitstellung sind der Schlüssel zum Marathon-Erfolg
Sebastian Reinwand war einer der besten Marathonprofis Deutschlands. Mit einer Bestzeit von 2:15:27 Stunden konnte er auf internationalem Niveau mitmischen. Nach der Europameisterschaft 2018 in Berlin beendete der Familienvater seine Laufkarriere und widmete sich sofort einem nächsten Projekt: Triathlon. Zudem gibt er sein Wissen und seine Erfahrungen aus 15 Jahren Leistungssport als Laufexperte und Trainer weiter. In unserem Blog gibt er Dir Tipps und Tricks mit an die Hand.
Als Marathonläufer und Coach werde ich häufig danach gefragt wie man besser werden kann. Natürlich denkt man dabei konkret an Dinge wie den Longrun, Schwellenleistung oder spezifische Intervalle. Diese sind auch alle wichtig für eine Marathonbestzeit, trotzdem vergessen viele Athleten ihre Hausaufgaben auf einem anderen Gebiet, nämlich der Flüssigkeitsversorgung, Kühlung und Energiebereitstellung während des Wettkampfes. Dabei sind diese Aspekte je nach Witterungsbedingungen noch viel entscheidender als Ausdauer oder Tempohärte. Und weil eine Triathlon Langdistanz drei bis vier Mal so lange dauert wie ein Marathon, wirkt der Einfluss dieser Faktoren dort noch größer.
Spricht man von Flüssigkeitszufuhr, geht es in erster Linie um Elektrolyte; konkret um die Natriumaufnahme während des Wettkampfes. Wer das unterschätzt, wird vergleichsweise milde bestraft. Die Folge sind Krämpfe, die einem im schlimmsten Fall zum Aufgeben zwingen. Dieses Schicksal habe ich bei meinem ersten Marathon am eigenen Leib erfahren müssen.
Foto: Marcel Hilger
Was geschieht wenn das Energiedefizit für das angestrebte Tempo zu groß wird, konnte man beim Frankfurt Marathon 2014 beobachten, als Philipp Pflieger völlig entkräftet nach 35km die Segel streichen musste. Noch dramatischer erging es ihm beim Berlin Marathon 2017, als er schließlich fast bewusstlos einem zufällig vorübergehenden Passanten in die Arme fiel. Wie er dazu steht, darüber berichtet er in seinem kürzlich erschienenen Buch.
Am gefährlichsten ist allerdings Hitze. Die Bilder von Sarah True beim Ironman Frankfurt dürfte noch jeder vor Augen haben. Marathonläufer Callum Hawkins hangelte sich bei dem Commonwealth Games im letzten Jahr, ebenfalls in Führung liegend und nicht mehr weit vom Ziel entfernt, an der Streckenabsperrung entlang ehe er bewusstlos zu Boden ging und ins Krankenhaus abtransportiert wurde. Als er wieder aufwachte, waren die letzten Kilometer vor dem Kollaps aus seiner Erinnerung gelöscht.
An Willen, Härte oder Training mangelte es sicher keinem der aufgeführte Protagonisten. Klar, die erwähnten Geschichten sind Extrembeispiele bei denen Profisportler ihre Grenzen überschritten haben. So weit muss es aber nicht immer kommen. Trotzdem wirken sich die genannten Defizite schon deutlich früher leistungsmindernd aus, weshalb sich jeder Sportler genaue Gedanken zu seiner Wettkampfversorgung machen sollte. In der folgenden Serie werde ich meine Erfahrungen und Kenntnisse zum Themen Flüssigkeitszufuhr, Kühlung und Energiebereitstellung teilen.
Teil 1: Flüssigkeitszufuhr
Foto: Ina Rohden
Jeder Ausdauersportler, der an Wettkämpfen teilnimmt, die länger als eine Stunde dauern, sollte sich Gedanken über seinen Flüssigkeitshaushalt machen. Bei großer Hitze in Abhängigkeit von der Intensität, wird die Flüssigkeitszufuhr auch schon früher relevant. Da wir von einem Wettkampfszenario sprechen, gehe ich davon aus, dass es sich immer um eine Ausbelastung handelt. Deshalb hat man auch schon in dem ein oder anderen 10.000m Finale im Stadion die Protagonisten zum Wasserbecher greifen sehen. Die meisten Triathlons oder ein Marathon dauern sowieso länger als zwei Stunden, sodass Trinken unabdingbar wird.
Auch wenn man nicht mit großer Hitze zu kämpfen hat, bleibt der Natriumverlust (Salz) über den Körperschweiß ein Problem. Die Zusammensetzung des Schweiß ist individuell stark verschieden und genetisch vorgegeben. In Kombination mit einer ebenfalls individuell variierenden Schweißrate ergibt sich so schnell ein Ratespiel wie viel und was man denn nun trinken sollte.
Krämpfe standen im Weg
Obwohl ich Vorfeld immer der Meinung war alles beachtet zu haben, hatte ich bei allen Marathons mit Krämpfen in den Waden und z.T. bis in die Arme zu kämpfen. Beginnend ab Kilometer 18 beim Debüt mit einem DNF nach 37 Kilometern und der Höchststrafe, dass mit Franz Löschke auch noch ein Triathlet an mir vorbei lief, der nur zum Spaß als Saisonabschluss am Start war. Ich hatte mir anschließend natürlich Gedanken gemacht und als Folge beim nächsten Mal etwas mehr Salz in meinen Flaschen gefüllt, womit ich zumindest problemlos bis Kilometer 31 und schließlich auch ins Ziel gekommen bin. „Alle guten Dinge sind drei“ habe ich mir gedacht und noch einmal Salz nachgelegt. Es wurden 34 Kilometer bis zum ersten Zwicken, das ich mit einer leichten Temporeduzierung bis auf einen richtigen Krampf bei Kilometer 40 in den Griff bekam. Der Lohn war immerhin meine Bestzeit 2:15:27 Stunden.
Trotzdem blieb die Situation für mich unbefriedigend. Dass ich trotz 150-250ml Flüssigkeits- und Salzzufuhr alle 5km jeden Marathon wegen Krämpfen am Ende drosseln musste, macht mich unzufrieden. Über den PushingLimits Podcast bin ich schließlich auf Mario Schmidt-Wendling als Experten aufmerksam geworden, der die mir bis dato unbekannte individuelle Schweißzusammensetzung analysiert und u.a. auch bei Anne Haug eine entsprechende Messung durchgeführt hat.
Glauben ist gut, Wissen ist besser
Also nix wie ab nach Frankfurt und siehe da: Der Natriumgehalt in meinem Schweiß ist mit 1105mg/l zu Beginn am oberen Ende des Referenzbereichs. Als zweiten Teil habe ich meine Schweißrate unter Wettkampftempo gemessen indem ich einen Halbmarathon im Marathon Renntempo gelaufen bin. Das geht ganz einfach: Man wiegt sich vor- und nachher und zieht evtl. zugeführte Flüssigkeit ab. Das Ergebnis: 1,9 Liter Schweiß pro Stunde. Eine ganze Menge. Beide Werte kombiniert mit meiner Marathonlaufzeit ergeben 4700mg Natriumverlust (1105mg/l * 1,9l *2,25h), die in 11.800mg Kochsalz enthalten sind. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich tatsächlich fast 12g Salz in meine Getränke mischen muss, um Krämpfen vorzubeugen. Mit der Faustformel Apfelschorle und 2-3g Salz pro Liter kommt man da nicht weit.
Auch wer keine Probleme mit Krämpfen hat, sollte sich Gedanken zu seinem Natriumhaushalt machen, denn unkontrollierte Zufuhr von Flüssigkeit, vor allem bei langen Hitzerennen, kann zu Hyponatriämie (Salzarmut) führen. Im schlimmsten Fall endet diese tödlich, wie tragischerweise beim Ironman Frankfurt 2015 geschehen.
Fazit: Testen, analysieren, reagieren
Messt zumindest eure Schweißrate im Training und zwar in Wettkampfpace und vergleichbaren klimatischen Bedingungen. Wer regelmäßig zu Krämpfen neigt, dem empfehle ich eine Schweißanalyse. Inzwischen gibt es entsprechende Test-Sets online zu bestellen.
Der Natrium- und Flüssigkeitshaushalt ist die Grundlage für den Wettkampf. Auf die spezielle Hitzeadaption und Kühlungsmöglichkeiten gehe ich im nächsten Beitrag ein.