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Widersprüche

Widersprüche

Widersprüche

Es ist schon paradox, wenn nicht gar grotesk: Während meine Kreditkartenabrechnung noch die Spuren jenes mit Kohlendioxid belasteten Fluges trägt, der mich und mein in Luftpolsterfolie gehülltes Renngerät für ein verlängertes Wettkampfwochenende gen Süden beförderte, ziere ich mich in diesem Moment, an der Supermarktkasse zur (günstigeren) Plastiktüte zu greifen. Unsereins, so scheint es, lebt in Widersprüchen, die selbst einem Philosophiestudenten im dritten Semester Kopfschmerzen bereiten würden.

Doch manchmal, und das ist das Schöne an unserem Sport, finden sich in dem Dickicht aus Selbstoptimierung und schlechtem Gewissen kleine Lichtblicke. Momente, in denen wir zumindest ansatzweise dem gerecht werden, was wir so gerne von uns behaupten: Verantwortungsvolle Botschafter einer Sportart zu sein, die ihre Spielwiese, die Natur, noch in halbwegs intaktem Zustand an nachfolgende Generationen weitergeben möchte.

Einen solchen Moment erlebe ich regelmäßig, wenn ich meine RENEWED 97 überstreife. Ja, ich weiß, das klingt pathetisch. Doch diese unscheinbaren, aus recycelter ECONYL®-Faser gefertigten Textilien verkörpern etwas, das in unserem Sport selten geworden ist: Ein Produkt, das in puncto Nachhaltigkeit tatsächlich hält, was es verspricht.

Zu 97% aus recycelten Materialien  | Foto: Marcel Hilger

Die Geschichte von ECONYL® liest sich wie ein modernes Märchen, wäre da nicht der bittere Beigeschmack unserer globalen Müllproblematik. Vor dem Angesicht jener stummen Zeugen unserer Konsumgesellschaft hat die italienische Firma Aquafil einen Prozess entwickelt, mit welchem sich aus Meeres- und Industrieabfällen wieder hochwertiges Nylon gewinnen lässt.

Hierbei werden die gesammelten Nylonabfälle zunächst sortiert und gereinigt. Anschließend durchlaufen sie einen „radikalen Regenerations- und Reinigungsprozess”, wie es die Hersteller mit wissenschaftlichem Pathos zu formulieren pflegen, der das Material auf molekularer Ebene zu seiner ursprünglichen Reinheit zurückführt. Das Ergebnis ist ECONYL® Nylon, das chemisch identisch mit herkömmlichem Nylon ist, jedoch keinen derartigen ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Ein Umstand, der selbst dem zynischsten Fürsprecher des Greenwashings einen Moment des Innehaltens verschaffen dürfte.

Was aber nützt das nachhaltigste Material der Welt, wenn es den Anforderungen des modernen Leistungssports nicht standhält? Schließlich sind wir Triathleten eine Spezies, die bereitwillig Tausende von Euro in marginale Verbesserungen der Aerodynamik investiert und dabei nicht selten übersieht, dass der limitierende Faktor für Spitzenergebnisse im Kopf zu finden ist.

RENEWED 97: Erstklassiger Komfort und Atmungsaktivität  | Foto: Marcel Hilger

Doch auch hier weiß ECONYL® etwaige Kritiker in ihre Schranken zu weisen: Das Material ist leicht, atmungsaktiv und verfügt über feuchtigkeitsableitende Eigenschaften. Es ist elastisch,formstabil und hält auch längeren Belastungen stand. Gleichzeitig ist es widerstandsfähig gegen UV-Strahlung und Chlor. Das Tragegefühl selbst ist bemerkenswert unbemerkenswert. Und das ist das höchste Lob, das man einem Kleidungsstück aus Funktionsmaterial aussprechen kann.

Trotz alledem bleibt diese köstliche Ironie, die den Triathlonsport entlarvt: Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass beinahe monatlich ein neuer Aerohelm zum Produkt meiner Begierde wird und ich unentwegt geneigt bin, mir ein optimiertes Cockpit für mein Zeitfahrrad drucken zu lassen, als ginge es um die Lösung der Quantentheorie, scheinen meine Akte der Kompensation so winzig wie das Vertrauen deutscher Autobauer in die Elektromobilität.

Die größte Herausforderung liegt auch hier nicht in den Unterschieden materialtechnischer Eigenschaften, sondern in unseren Köpfen: Wie können wir es rechtfertigen, einerseits auf nachhaltige Produkte zu setzen, andererseits aber einen Lebensstil zu pflegen, der ökologisch etwa so vertretbar ist wie ein Diesel-SUV in Innenstädten?

Im Einklang mit der Natur / Foto: Vinny Wolff

Die Antwort ist unbequem: Wir können es nicht. Denn während ich hier über recycelte Socken nachdenke, verlegt die PTO das nächste Serienrennen kurzerhand nach Ozeanien. Und während ich mir ein schlechtes Gewissen mache, weil ich vor wenigen Stunden erneut zur Plastiktüte gegriffen habe, findet das Finale ebenjener Serie in einem Land statt, dessen wirtschaftlicher Wohlstand auf dem Export von Erdöl beruht.

Es ist die perfide Logik des Neoliberalismus, die sämtliche Verantwortung dem Individuum zuschiebt, während die wirklich wirksamen Hebel in den Händen politischer Entscheidungsträger verbleiben. Anstatt klimaschädliche Subventionen zu streichen, eine Kerosinsteuer einzuführen oder den öffentlichen Nahverkehr so attraktiv zu gestalten, dass selbst hartgesottene Autofahrer freiwillig umsteigen, wird uns eingeredet, die Klimakrise ließe sich durch bewussten Konsum lösen.

Dabei sind wir als Individuen keineswegs machtlos, ganz im Gegenteil. Unsere wahre Macht liegt jedoch nicht in unserem Konsumverhalten, sondern in unserem politischen Einfluss. Als Sportler haben wir Reichweite, als Bürger haben wir ein Wahlrecht und als Menschen haben wir die Möglichkeit, strukturelle Zusammenhänge zu erkennen und zu kommunizieren.

Wir tragen RENEWED 97 aus Überzeugung / Foto: Marcel Hilger

Trotz widerstreitender Interessen glaube ich an die transformative Kraft kleiner Entscheidungen. ECONYL® ist nicht die Lösung all unserer Probleme und die RENEWED 97 sind kein Symbol elitärer Selbstgerechtigkeit. Vielmehr erinnern sie mich täglich daran, kontinuierlich bessere Entscheidungen zu treffen. Und das ist, bei aller berechtigten Kritik an den Widersprüchen unseres modernen Zusammenlebens, ein ziemlich hoffnungsvoller Gedanke.

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