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Anlaufschwierigkeiten

Anlaufschwierigkeiten

Anlaufschwierigkeiten

Samstagnachmittag, Mitte Mai. Ich kauere nervös dreinblickend zwischen Gitterstäben und Campingplanen. Es läuft elektronische Tanzmusik, untermalt mit der Akustik eines unweit entfernt kreiselnden Helikopters. Ein Sprecher verlautet das Programm der nächsten Stunden, Menschen tragen Sonnenbrillen. Mitnichten bin ich Teil eines Festivals. Nein, vor mir irren austrainierte Athleten umher. Ich befinde mich in einer Athletenlounge, dem letzten Rückzugsort der sportlichen Extase.

Das Spiel der Weltrangliste ist mitunter mühsam. Auch nach diesem frühsommerlichen Wochenende im italienischen Cagliari wird jedem Sportler und jeder Sportlerin ein Rang zugewiesen werden können. Verknüpft mit einer Anzahl an Punkten, welche am Montag um 12 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit in eine aktualisierte Platzierung in der Weltrangliste münden wird. Je höher die Rennserie, desto größer die potentielle Ausbeute. Mathematische Fertigkeiten werden zur Tugend, strategische Finesse zum Gamechanger.

Obgleich ich auf wenige Dinge so stolz bin wie auf meinen im zweiten Anlauf bestandenen Matheschein im Rahmen meines Bachelorstudiums, sollte mir mein taktisches Gespür heute zum Verhängnis werden. Die leise Hoffnung, ein bereits auf der Startliste befindlicher Athlet würde seine Startnummer aus irgendeinem Grund kurzfristig zurückgeben, sie wich der Einsicht, dass ich auf der Warteliste verbleiben würde. Dass ich die Reise auf mich genommen habe, ohne ein Rennen zu bestreiten. Dass ich nun Tempoläufe werde machen müssen, während die Weltelite um wertvolle Weltranglistenpunkte kämpft.

incylence blog triathlon training jannik schauflerZwischen Weltelite und Reservist | Foto: Simon Gehr

Das System ist ein bisschen wie Kapitalismus, nicht so wirklich fair. Weil auch Fördergelder über jene Liste vergeben werden, bleibt der elitäre Kreis im Kern bestehen. Während die ganz große Mehrheit eigene finanzielle Mittel in Bewegung setzen muss, um Chancen auf der Kontinentalebene zu erhalten und sich so Stück für Stück in die Weltserie vorzuarbeiten, leben diese 55 Männer und Frauen im Schlaraffenland. Neid vermag einzusetzen.

Apropos Stück für Stück: Ein flüchtiger Ausrutscher während meiner Glanzzeit an der Universität des Saarlandes führte dazu, dass ich eines Donnerstagabends mit fünfzehn Anzug tragenden High Performern in einem Seminarraum aufzufinden war. Die studentische Unternehmensberatung lehrte mich im Rahmen ihrer Anwartschaft unter anderem, wie man einen Bären erlegt. Ganz einfach, Stück für Stück.

Mit dem Leistungssport ist es nicht ganz so einfach, nur sehr selten verläuft die Reise linear. Während ich hier also sitze und meinen Konkurrenten dabei zu sehe, wie sie ihre finalen Wettkampfvorbereitungen treffen, wie sie Babypuder in ihre Radschuhe kippen, die Schwimmbrille mit Spucke präparieren oder nochmal am Asthmaspray nuckeln, schießen mir Bilder aus längst vergangenen Tagen in den Kopf. Erlebnisse, die mich prägten und mich heute befähigen, meine Contenance in Situationen wie diesen nicht zu verlieren.

incylence blog triathlon training jannik schauflerSchritt für Schritt, Einheit für Einheit | Foto: Simon Gehr

Werfen wir also einen Blick zurück. Eine halbe Dekade, zum Jubiläum des Blogwarts. Vor fünf Jahren saß ich schon einmal zusammengekauert. Der Wäscheraum des Haus der Athleten bot sich als Zufluchtsort an, als ich einen Brief in den Händen hielt, der mich in emotionale Aufruhr versetzte. Ach, bringen wir es auf den Punkt: Ich habe geheult wie ein Baby.

Nicht selten sorgt der Übergang vom Juniorenalter in die Elitekategorie für Frust. 2017, mein erstes Sportjahr bei den Großen, brachte nicht den Erfolg, nicht die Menge an Podiumsplatzierungen, an die ich mich im Laufe der letzten Jahre unfreiwillig gewöhnt hatte. 2018 sollte sodann alles besser werden.

Ich sollte irren, zumindest vorerst. Rückblickend betrachtet kam uns in neuer Teamkonstellation am Olympiastützpunkt die Lockerheit abhanden. Wir versteiften uns und so hatte ich beinahe die komplette Vorbereitung über mit Wehwehchen zu kämpfen. Die bittere Realität sah außerdem vor, dass meine Ergebnisse der Leistungsdiagnostik zum Ende der Saisonpause besser waren als jene unmittelbar nach zwei dreiwöchigen Trainingsaufenthalten unter Höhenbedingungen. Ja, die Stimmung war getrübt, als ich in ein finales Ostertrainingslager nach Mallorca aufbrach. Doch auch hier unterliefen uns Fehler.

Von Unsicherheit und Testosteron verleitet haben wir die Umfänge in diesem Camp auf ein neues Level gehoben. Obwohl der Winter alles andere als rund lief, wollten wir es nun wissen. Zehn Tage, gespickt mit reichlich Sonnenschein und meiner ersten Laufwoche jenseits der Hundertkilometermarke, dann streikte der Körper. Die restliche Woche verbrachte ich Kaffee trinkend in physiotherapeutischer Behandlung. Unentwegt hatte ich das Gefühl, dass wir großen Mist angerichtet hatten, überall zwickte es. Die Maschine Schaufler war am Limit.

incylence blog triathlon training jannik schauflerDie Maschine Schaufler am Limit | Foto: Marcel Hilger

Alsbald war es Zeit, nach Hause zu fliegen. Während zunächst das Schienbein Probleme machte, war es nun das Knie, welches keinerlei Belastung mehr standzuhalten schien. Weil weder konservative Methoden noch eine dreitägige Ruheverordnung Besserung herbeiführten, übersandt mich unsere Physiotherapeutin, um endlich Licht ins Dunkle zu bringen, in die Radiologie. Ein MRT verlautete die Ursache: Meniskusriss.

Die erste Reaktion gebührte der Erleichterung. Auch, weil mir Menschen in meinem Umfeld unentwegt beibringen wollten, man könne da schon drüber trainieren, was vom Laufen komme, gehe schließlich vom Laufen auch wieder weg, fühlte ich mich trotzig dankbar. Die herkömmliche Mischung aus Optimismus und Pragmatismus, um physiologischen Rückschlägen Einhalt zu gebieten, sie aber sollte ausbleiben. Dieses Mal war die Lage ernster: Eine OP würde bevorstehen, und es war just in diesem Moment, als ich den Brief öffnete.

Wenngleich ich die Verlesung der Diagnose mit Fassung aufgenommen und mich bei dem zuständigen Arzt sogleich in aller Ruhe über Rehabilitationsmaßnahmen und Heilungsverläufe erkundigt hatte, platzte es nun aus mir heraus. Der Brief war von meinen Eltern. Sie waren etwas nervös, denn der Bub hatte eine große Reise geplant. Das Visum war bereits ausgestellt, die Flugkosten bezahlt, alles war bereit für meinen ersten Weltcup auf einem fremden Kontinent. Den Brief skizzierten chinesische Schriftzeichen: „Viel Erfolg in China. Pass auf dich auf."

Während meine Trainingskollegen beinahe unentwegt auf Wettkampfreisen waren, verlebte ich einen Sommer, an den ich trotz der Umstände gerne zurückblicke. Es war schön zu sehen, wie rührend sich Freunde und Familie um mich kümmerten. Ich war unglaublich dankbar, auf ihre Unterstützung bauen zu können, sei es als Taxifahrer oder mentalen Beistand. Und so kam es nicht selten vor, dass auch ich mich in meiner Rolle als Mitglied der Trainingsgruppe verpflichtet sah, Tempolaufeinheiten auf Krücken stehend zu begleiten.

An der Seite vieler faszinierender Sportler und Sportlerinnen, welche mein Schicksal in gewisser Form teilten, bereitete mir gar die Reha sichtlich Freude. Die täglichen drei Stunden im Kraftraum verflogen im Nu. Und es war beinahe Zeit, die Krücken zur Seite zu legen, als mich die Erkenntnis überfiel, meine hochgesteckten Ziele im Triathlonsport nicht erfüllen zu werden, wenn ich einfach weitermachen würde, als wäre nichts gewesen. Veränderung musste her.

incylence blog triathlon training jannik schauflerDie Zukunft fest im Blick | Foto: Simon Gehr

Ich wurde fündig: Ein neuer Trainer und damit verbunden ein System, welches meine Gesundheit vor die Erfüllung von Rahmentrainingsplänen stellte, eine arbeitsintensive neue Herausforderung, welche eine Neuüberarbeitung meiner Technik vorsah und in dessen Zusammenhang ich mich in mein erstes Solo-Trainingslager ins Schweizer Engadin begab. Gleichzeitig aber auch Gewissensbisse: Habe ich meine Trainingsgruppe im Stich gelassen?

Nach überstandener Klausurenphase an der Universität hatte ich in Sankt Moritz seit langer Zeit zum ersten Mal wieder das Gefühl, voll und ganz Herr meiner Sinne zu sein. Ich arbeitete so diszipliniert wie nie zuvor und ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich zurückblicke und heute voller Stolz von meinem geglückten Comeback berichten kann.

Oktober, 2018, Reise nach Israel zur U23 Europameisterschaft, gemeinsam mit meinem Papa, der bis heute nicht müde wird, von diesen zehn Tagen zu schwärmen. Kurzum: Mir gelang das perfekte Rennen. Nach knapp zwei Stunden, in denen ich vor Selbstbewusstsein und Dankbarkeit nur so strotzte, wurde ich hinter Max Studer und vor Roberto Sanchez Vizeeuropameister. Beide wurden anhand dieses Ergebnisses für die Weltmeisterschaftsserie der Elite berufen. Ich flog hochkant aus dem Kader. Weil ich die Kriterien in diesem Sommer nicht erfüllt hatte, wurde mir jegliche Förderung entzogen. Profisport ist eine emotionale Achterbahnfahrt, doch ein Glück sitze ich nicht alleine.

incylence blog triathlon training jannik schaufler

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